Obwohl auch ich, Jahrgang 1949, nicht mehr der Allerjüngste bin, fühle ich mich wie ein junger Dachs, wenn ich mit Rentnern, die viel älter sind als ich, gemütlich beim Kaffee über vergangene Zeiten plaudere.
So war ich am 14. Juli 2010 beim Breslau-Stammtisch in Berlin, der dort jeden Monat am 2. Mittwoch stattfindet. Der stets gut besuchte Breslau-Stammtisch in Berlin wurde von meinem Heimatfreund Egon Höcker, Webmaster der Seite: www.breslau-wroclaw.de ins Leben gerufen. Das interessante Stammtischthema lautete diesmal: Deutsche Spurensuche in Breslau, und da habe ich mal wieder sehr viel Neuigkeiten von den alten Breslauern erfahren.
Breslauer Geschichten, die es Wert sind aufgeschrieben zu werden, damit sie der Nachwelt erhalten bleiben.
So war es auch am nächsten Tag, der 15. Juli. Ich war bei meinem Heimatfreund und Nachbar, Herr Walter Döring, zum Kaffee eingeladen. Auch Walter Döring hat Geschichten, die es Wert sind, aufgeschrieben. Herr Döring, ein rüstiger VW-Rentner und Hobbymaler, spielt auch als Musiker bei den Bobertaler Musikanten mit. Die Bobertaler Musikanten sind mit ihrem Repertoire auf den Heimattreffen der Jannowitzer und Kupferberger in Orxhausen immer dabei.
Walter Döring wurde vor über 90 Jahren in Kupferberg geboren. Damit nichts aus seinem ereignisreichen Leben vergessen werden soll, hat Herr Döring für seine Kinder und Enkelkinder seine Lebenserinnerungen in einem Buch mit dem Titel Bunte Erinnerungen
und dem Untertitel Mein farbiges Leben festgehalten. Es ist eine fesselnd geschriebene Chronik, die er da geschrieben hat. Seine harte Kindheit in Kupferberg wird geschildert.
Als fünftes von 10 Kindern gehörte er nicht zu denen, die mit dem so genannten Goldenen Löffel im Mund geboren wurden.
Im Alter von acht Jahren kam er als "Botenjunge" zu Trenklers nach Jannowitz und im Alter von 14 Jahren folgte eine Lehre als Maler mit Unterbringung beim Meister. Es folgte Gesellenzeit, Arbeitsdienst, Wehrmacht und sechs Jahre in russischer Kriegsgefangenschaft. So sah damals oft das „Studium“ im entbehrungsreichen Leben der jungen Männer aus, die den Krieg überlebt hatten. Es war ein „Studium“, das ihn geprägt hat und so ist Walter Döring, der Volksschüler, im VW-Werk Wolfsburg vom Lackierer bis zum Hauptabteilungsleiter im VW-Werk in Emden aufgestiegen.
Dabei sind seine leidenschaftlichen Hobbys, die Malerei und die Musik, nie zu kurz gekommen.
In der Seniorengemeinschaft im Wolfsburger Ortsteil Hattorf gelang es ihm, der einzige Schlesier unter den Senioren, die Seniorengemeinschaft davon zu überzeugen, in diesem Jahr keine der üblichen Fahrten ins Rheinland zu machen, sondern mal einen Blick auf das schöne Hirschberger Tal zu werfen. Am 14. Juni startete die Seniorengemeinschft im Wolfsburger Ortsteil Hattorf zur 5-Tage-Tour in Richtung Schlesien. Die erste Stadtbesichtigung fand in der Hauptstadt der Oberlausitz, in Bautzen statt. Weiter ging es nach Zittau im Landkreis Görlitz. Zittau ist in den letzten Jahren bekannt geworden durch das rekonstruierte Zittauer Fastentuch. Das Fastentuch ist Deutschlands außergewöhnlichste Bibel. Es ist das einzigartigste seiner Art in Deutschland und wird in der größten Museumsvitrine der Welt gezeigt.
Untergebracht war die Seniorengemeinschaft im Schloßhotel Althörnitz bei Zittau.
Von dort aus wurden die verschiedensten Tagesausflüge gemacht. Es ging nach Herrnhut, in das schöne Klosterstift Mariental in Ostritz bei Görlitz und natürlich nach Görlitz, verbunden mit einem Stadtrundgang. Selbstverständlich wurde dabei auch das Schlesische Museum in Görlitz besucht.
Eine Fahrt nach Hirschberg, speziell das Hirschberger Tal mit einer Rundfahrt über Krummhübel, Brückenberg, Arnsdorf über Zillerthal-Erdmannsorf nach Lomnitz stand auch auf dem Programm und begeisterte auch die Nicht-Schlesier im Bus von dieser herrlich schönen Landschaft.
Walter Döring konnte immer wieder zu den umfangreichen Erklärungen des Reiseleiters seine Kenntnisse über das Hirschberger Tal einbringen. In Lomnitz waren die Nicht-Schlesier nicht nur von der schönen restaurierten Gutsanlage begeistert, auch der gut schmeckende Streuselkuchen fand volle Anerkennung.
Doch der Höhepunkt für Walter Döring und seine Frau war, als Frau von Küster für die beiden ein Taxi mit einem deutschsprachigen Fahrer bestellte. Am Fuß der Falkenberge ging es über Fischbach, Rohrlach und Jannowitz nach Kupferberg. Dort war es für Walter Döring ein ergreifender Moment, als er den ehemaligen Friedhof betrat und auf dem Bänklein am Gedenkstein mit seiner Frau Platz nahm.
Der Gedenkstein, der vor zehn Jahren mit viel Herzblut von den ehemaligen Bewohnern errichtet wurde und den auch ich immer wieder gerne aufsuche, ruft bei den Kupferbergern immer wieder Erinnerungen an die vergangene deutsche Zeit auf. Doch das Rad der Geschichte läßt sich nicht zurückdrehen.
Gute 10 Minuten saß Walter Döring am Gedenkstein und schwelgte in den Erinnerungen seiner Kindheit in Kupferberg. Es folgte ein Spaziergang vorbei an der Kirche zum ehemaligen Gasthof Zum Schwarzen Adler und dann ging es über Rohrlach zurück nach Lomnitz.
Auch auf diesem Weg wurden bei Walter Döring wieder viele Erinnerungen aus seiner Jugend wach. Als Malerlehrling war er diese Wege oft mit dem Fahrrad gefahren, wenn er zu den Kunden seines Meisters mußte.
Als Walter Döring mir dies alles in seiner herzerfrischenden, humorvollen Art erzählte, mußte ich an das Vorwort in seinem Buch denken:
Bunt, so wie ein Sommerstrauß,
Frohsinn, Freunde und Musik im Haus,
Sowie Zufriedenheit erstreben.
Das war mein Leben.
Walter Döring ist tot
Im Sommer letzten Jahres (2013) ist Walter Döring im Kleinbus mit seiner Familie, Kinder und Enkerlkinder durch das Hirschberger Tal gereist und hat auch seinen Geburtsort Kupferberg besucht. Ein Reisebericht darüber stand in der "Schlesichen Bergwacht".
Anfang April 2014 hat er mich angerufen und wir haben ein interessantes Gespräch über mein neues Buch "Endstation Wolfsburg" geführt.
Nach Beendigung der Lektüre wollten wir die Buchbesprechung fortsetzen und dann erhielt ich die Nachricht, daß er am 25. April 2014 im Alter von 94 Jahren gestorben ist.
Am 30. April bin ich auf der Beerdigung von Walter Döring gewesen.
Ich war in dem festen Glauben (da er geistig so auf der Höhe war), auch nach seinem 100. Geburtstag werden wir noch viele Gespräche führen;
und dann das plötzliche Ableben. Ich bin dankbar, dass ich diesen großartigen, bescheidenen Mann kennengelernt habe und traurig, dass uns wieder ein schlesischer Zeitzeuge verlassen hat.