Endphaseverbrechen gab es auch im nicht weit von Wolfsburg entfernten Gardelegen

Im Frühjahr 2015 jährt es sich zum Siebzigsten Mal, dass sich die deutschen Truppen vor den aus dem Westen anrückenden Alliierten zurückzogen und überall im Deutschen Reich die Arbeitslager von KZ-Häftlingen und Kriegsgefangenen aufgelöst wurden. Grundlos wurden noch wenige Tage vor Kriegsende tausende Menschen, Männer, Frauen und Kinder von der SS, von Männern des Volkssturms, der SA, der Wehrmacht und auch von der Bevölkerung ermordet und in den Wäldern verscharrt.

Der Kanonendonner der Roten Armee war schon in der Ferne zu hören, da fanden in der Nacht des 20. April 1945 die letzten Hinrichtungen mit dem Fallbeil in Plötzensee statt und der spätere Ministerpräsident Filbinger sagte: „Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein“ und die Richter, die in Scheingerichten die Todesurteile fällten, haben für diese Schandtaten nie eine Gefängnisstrafe angetreten.

Die Liste derer, die noch im April 1945 von der deutschen Justiz zum Tod verurteilt wurden, ist lang. Als Beispiel führe ich nur zwei von vielen prominenten Namen auf: Der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer; er wurde am 9. April 1945 im KZ-Flossenbürg durch Erhängen hingerichtet.

Wilhelm Canaris, Leiter des militärischen Geheimdienstes der Wehrmacht, wurde auch am 9. April 1945 in Flossenbürg hingerichtet.

1956 sprach der Bundesgerichtshof den SS-Richter Otto Thorbeck, der Bonhoeffer und Canaris in einem Scheinprozess zum Tod verurteilt hatte, frei. Erst ein halbes Jahrhundert später, am 6. August 1996, wurde das Todesurteil gegen Bonhoeffer vom Landgericht Berlin augehoben. Dass das Recht, auf das sich der SS-Richter Thorbeck bezog, Willkür und damit Unrecht war, erkannte der BGH nicht.

Kein Gefangener sollte lebend in die Hände der Alliierten fallen. Siehe:

Wikipedia/wiki/Endphaseverbrechen
In diesem Link sind 58 Orte aufgezählt, in denen im Jahr 1945 Gefangene ermordet wurden.

Wikipedia/wiki/Mahn- und Gedenkstätte Isenschnibber Feldscheune
Eines der schlimmsten Verbrechen trug sich einen Tag vor dem Einmarsch der Amerikaner am 13. April 1945 in der Isenschnibber Feldscheune bei Gardelegen zu.

Wikipedia/wiki/Massaker von Celle
In Celle war es die „Celler Hasenjagd“.

Wikipedia/wiki/Massaker im Arnsberger Wald
Im Sauerland in Arnsberg das Masssaker im Arnsberger Wald.

Solche Verbrechen geschahen zum Kriegsende im gesamten Reichsgebiet. Bei Diskussionen in den 60er Jahren hörte ich immer von den Älteren, dass sie von all den Untaten nichts gewusst haben. Alles wurde verleugnet.

Kriegsteilnehmer, die zum Ende des Krieges noch immer den sinnlosen Kampf gegen die Alliierten führten, gaben die Standardaussage, dass sie immer ehrenhafte und ritterliche Kämpfer waren und die Verbrechen an Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen allein auf das Konto der Waffen-SS gingen. Hätte wenigstens in den Jahren 1944 und 1945 zum vorauszusehenden Kriegsende die Vernunft in den Köpfen dieser Kriegstreiber gesiegt, dann wären Millionen von Menschen am Leben geblieben.

Auf Seite 274 berichte ich in meinem Buch „Endstation Wolfsburg“ über das Massaker Massaker in in Oradour-sur-Glane. Heinz Lammerding, Generalleutnant der Waffen-SS, war der Hauptverantwortliche für das Massaker in Oradour-sur-Glane. Er wurde in Frankreich angeklagt und in Abwesenheit von einem französischen Gericht zum Tod verurteilt. Allerdings wurde er nicht von Deutschland nach Frankreich ausgeliefert und in Deutschland nicht für seine Taten zur Verantwortung gezogen. Er lebte nach dem Krieg als erfolgreicher Bauunternehmer in Düsseldorf und genoss danach sein Altenteil am Tegernsee, wo er 1971 starb.

In den Zeitungen stand Mitte Mai 1957, dass der zuständige Hauptkommissar des Polizeiabschnitts Wolfsburg dem Wolfsburger Stadtdirektor meldete, dass sich auf dem „Russenfriedhof“ eine Gedenktafel befände, die sich sehr gehässig gegen Deutschland ausspreche. In kyrillischer Schrift war dort zu lesen:
Ewiges Andenken den zu Tode gequälten sowjetischen Bürgern in der Gefangenschaft des deutschen Faschismus. Die Heimat vergisst Euch tapferen Kämpfer der Roten Armee 1941 bis 1945 nicht.
Die Aufregung war groß und Wolfsburgs Oberstadtdirektor Wolfgang Hesse informierte den Regierungspräsidenten in Lüneburg. Hesse schlug zunächst vor, die Gedenktafel zu entfernen. Nach einer Ortsbegehung 1957 kam die Idee auf, nur den ersten Satz der Inschrift zu entfernen. Hauptsächlich war am Begriff des deutschen Faschismus Anstoß genommen worden. Letztlich blieb die Inschrift bestehen und aus heutiger Sicht erscheint die Auseinandersetzung kurios.

Ende April 2014 machte ich mich mit dem Filmemacher Uwe Bindseil auf Spurensuche in Wolfsburg und Gardelegen. In einen Kurzfilm (9 min.) Endphaseverbrechen in Gardelegen las ich Texte aus meinem Buch „Endstation Wolfsburg“.

Bemerkenswert ist, dass der Grundstein für das Mahnmal auf dem Klieversberg, das an das Unrecht der Vertreibung erinnert, schon 1950 gelegt wurde. Aber erst 60 Jahre später wurde ein Mahnmal für die Zwangsarbeiter, die auch aus ihrer Heimat vertrieben (deportiert) wurden, errichtet.

In dem Video wird auch das ehemalige Kinder- und Säuglingslager Rühen gezeigt. Hier zu dem Lager Rühen eine Dokumentation von Uwe Pitz.

Merkwürdig ist, dass im Jahr 2013 die ehemaligen Torpfosten des Lagereingangs entfernt wurden. Sollte mit dieser Handlung ein Stück Geschichte in Rühen getilgt werden?

Bei unseren Videoaufnahmen im April 2014 war diese Mahntafel noch nicht angebracht:

Diese Gedenktafel wurde am 9. Mai 2014 errichtet, siehe den beiliegenden Link mit dem Film, der u. a. auch in HALLO NIEDERSACHSEN am 10. Mai 2014 gezeigt wurde.


Beschämend ist, dass die Gedenkstätten, die an diese Gräueltaten erinnern, heute noch, drei Generationen nach Kriegsende, geschändet werden und mit Videokameras überwacht werden müssen. Auf dem Foto, (dem Film entnommen) ist rechts der Mast mit der Videokamera zu sehen. Warum werden diese Gedenkstätten immer wieder geschändet?